Aus der Krise lernen – Väterarbeit nach Corona
Erstellt von Hans-Georg Nelles am Dienstag 19. Januar 2021
Am 16. Dezember hat der zweite ‚harte‘ Lockdown begonnen und nicht nur der Jahreswechsel gibt Anlass, eine erste Bilanz der ‚Learnings‘ aus der bisherigen Zeit mit Corona zu ziehen.
„Eltern sind in der Corona-Zeit mehrheitlich nicht in traditionelle Rollen „zurückgefallen“. Meist blieb die Aufteilung der Kinderbetreuung zwischen den Elternteilen unverändert, in etwa jeder fünften Familie wurde die Aufteilung gleichmäßiger, in ebenso vielen Familien aber auch ungleichmäßiger. Die zusätzlich anfallenden Betreuungsaufgaben haben Mütter und Väter vielfach gemeinsam geschultert.“ heißt es in der kürzlich veröffentlichten Broschüre ‚Familien in der Corona Zeit‘ des BMFSFJ.
Die britischen Zeitung Guardian beurteilt die Auswirkungen von Corona noch optimistischer: „Das Jahr 2020 verändert die Art und Weise, wie die Gesellschaft Vaterschaft sieht, und könnte nach Ansicht von Forschern, Wirtschaftsführern und Aktivisten die tiefgreifendste Veränderung der Betreuungsaufgaben seit dem Zweiten Weltkrieg bewirken….“
So oder so wird es aber darauf ankommen, genauer auf die Situationen in den Familien und die Erfahrungen der Väter und Mütter zu schauen, und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen und die jetzt sichtbar werdenden Effekte nachhaltig wirksam werden zu lassen.
Väter & Corona – die positiven Erfahrungen aus der Krise für eine geschlechtergerechte Gestaltung der Zukunft und die Arbeit mit Vätern nutzen
In der gesellschaftlichen Diskussion der Corona Pandemie und ihrer Auswirkungen standen angesichts von Schul- und Kitaschließungen und anderer Einschränkungen vor allem die Herausforderungen und Belastungen für Familien im Vordergrund. Die Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW hat die Entwicklungen von Anfang an im engen Austausch mit ihren Mitgliedern und in zahlreichen Gesprächen mit Vätern verfolgt und sieht neben den Mehrbelastungen und Problemen für Väter und Mütter auch positive Erfahrungen aus der Krise. Damit diese bei der Arbeit mit Vätern aber insbesondere auch bei der Gestaltung der neuen ‚Normalität‘ genutzt werden kann, möchten wir sie in den folgenden sieben ‚Corona Lektionen gelernt‘ Punkten zusammenfassen:
1. Zusätzliche
Herausforderungen
Väter und Mütter sind in vergangenen Monaten mit neuen Herausforderungen
konfrontiert worden. Mühsam ausbalancierte ‘Vereinbarkeiten’ sind durch die
Schließung von Kitas und Schulen oft wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Väter
und Mütter sind je nach Branche und Tätigkeitsfeld als systemrelevant
eingestuft, in Kurzarbeit geschickt oder konnten im Homeoffice weiterarbeiten.
Zusätzlich zu den Sorgen um die Betreuung und Beschulung der Kinder kamen
vielfach die um die finanzielle Absicherung der Familien und in allen Fällen
die um die Gesundheit, die eigene, die der Kinder und vor allem die der älteren
Familienangehörigen. Diese Herausforderungen sind von vielen Familien gestemmt
worden, in einer Zeit, in der Beratungs- und Unterstützungssysteme, wenn
überhaupt, nur per Telefon zu erreichen waren.
2. Care- und
Betreuungsarbeiten
Sowohl bezahlte als auch unbezahlte Care- und Betreuungsarbeiten sind ungleich
zwischen Vätern und Müttern aufgeteilt. Dies hat unter anderem mit Bezahlung
und Zuschreibungen dieser Tätigkeiten zu tun. Bereits die Zeitverwendungsstudie
hat aber gezeigt, dass Väter und Mütter in der Summe der bezahlten Erwerbs- und
unbezahlten Care- und Betreuungsarbeiten gleich viel Zeit aufwenden. Die
Berichte von Vätern, vor allem aber die in den letzten Monaten durchgeführten
Studien zeigen auf, dass sich Väter mit zusätzlichen Zeitanteilen an Care- und
Betreuungsarbeiten beteiligen, insbesondere, wenn sie in Kurzarbeit oder
Homeoffice und ihre Partnerin in einem systemrelevanten Beruf tätig ist. Die
Erzählungen der Väter, diese Erfahrungen seien eine Bereicherung gewesen,
wollen wir für eine gerechtere Aufteilung von bezahlten und unbezahlten
Tätigkeiten nutzen.
3. Beziehung zu den Kindern
Kinder wünschen sich in allen Befragungen mehr Zeit mit ihren Vätern und auch
diese wollen von Anfang an für diese da sein und sich aktiv an deren Erziehung
beteiligen und das Aufwachsen begleiten. In der Vergangenheit haben wir bei
unseren Angeboten eine Unsicherheit der Väter gespürt, ob sie über ausreichende
Kompetenzen in der Betreuung insbesondere der jüngeren Kinder verfügen. Diese
Kompetenzen können sie erwerben, indem sie Zeit mit ihren Kindern verbringen,
sich auf diese einlassen und so eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Diese
Erfahrungen haben Väter während der Krise machen können und sich dabei
zunehmend als wirksam und bedeutend für ihre Kinder erlebt. Diese Erfahrungen
werden auch das Ausmaß des zukünftigen väterlichen Engagements bestimmen, es
wird aber darauf ankommen, sie einzubeziehen und passende Rahmenbedingungen zu
schaffen.
4. Partnerschaftliche
Arbeitsteilung
Aus den Wünschen junger Paare, sich Erwerbs- und Familienarbeiten
partnerschaftlich aufzuteilen wird nach der Geburt des ersten Kindes häufig
eine mehr oder weniger traditionelle Arbeitsteilung, die Väter in die
Ernährerrolle und Mütter in die sorgende Sphäre verweist. In der Folge sinken
Zufriedenheit und Partnerschaftsqualität mit weiteren negativen Wirkungen auf
das Engagement von Vätern.
Diese Kreisläufe sind in den vergangenen Wochen vielfach durchbrochen worden.
Den Vätern und Müttern, denen es schon vor der Pandemie gelungen ist, eine
partnerschaftliche Arbeitsteilung zu leben, berichten zwar am häufigsten von
extremen Belastungen, wollen aber keineswegs zurück zu einer klassischen
Arbeitsteilung. In den zahlreichen anderen Fällen ist die traditionelle Arbeitsteilung,
in die man vielfach ‘hineingerutscht’ ist, wieder zu einem Aushandlungsthema
geworden. Wir wollen Väter dabei unterstützen, ihre Wünsche nach einer
Reduzierung von Erwerbsarbeitszeiten auch umzusetzen
5. Stärkung des familiären
Zusammenhalts
Die Bewältigung der Herausforderungen ist selbstverständlich nicht ohne Krisen
und Konflikte verlaufen. Väter und Mütter sind in den vergangenen Monaten
häufig und für längere Zeiträume über ihre Grenzen hinaus gegangen und mit den
Erfahrungen auch gewachsen. Die Stärkung der Resilienzen ist eine wichtige
Erfahrung für den Zusammenhalt von Familien.
Wir wünschen uns selbstverständlich keine Wiederholung dieser ‘Lernsituation’
durch einen weiteren ‘Lockdown’, werden aber Väter und ihre Familien dabei
begleiten, ihre Erfahrungen aufzuarbeiten und für die Bewältigung zukünftiger
Herausforderungen nutzbar zu machen. In den Fällen,, in der die Krisen in
der Familie eskaliert sind, gilt es hinzuschauen welche Unterstützungsangebote
nötig sind um Krisensituationen konstruktiv meistern zu können.
6. Andere Formen der
Erwerbsarbeit Auch außerhalb von Familien haben Väter neue Erfahrungen machen können.
Arbeitsorte, -zeiten und -abläufe haben sich in vielen Bereichen grundlegend
verändert, in anderen ist schlagartig die gesellschaftliche Relevanz von
vielfach unterbezahlten Tätigkeiten deutlich geworden. Die Väter, die zeitweise
oder ganz im Homeoffice arbeiten konnten (oder mussten) wünschen sich, dass sie
diese Möglichkeiten auch weiterhin zumindest an zwei bis drei Tagen pro Woche
nutzen können, um mehr Zeit für Familie und Kinder zu haben.
Darüber hinaus geht es auch um Verantwortungsübernahme und Selbststeuerung, die
letztlich Auswirkungen auf Abläufe und Kulturen in den Unternehmen haben
werden. Dass die Arbeit im Homeoffice kein Ersatz für eine qualitativ
hochwertige Kinderbetreuung ist ja auch eine Lernerfahrung der letzten
Monate.
7. Wege der Arbeit mit
Vätern
Die Krise und die damit einhergehenden ‘Coronaschutzverordnungen’ haben auch
unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit unserer Mitglieder gehabt.
Einrichtungen haben geschlossen und selbst nach der Wiederöffnung ist Vätern
der Zugang verwehrt oder nur streng reglementiert. Hygienekonzepte führen dazu,
dass offene Angebote kaum noch möglich sind.
Diese Rahmenbedingungen haben zu einem Lernschub bei der Nutzung von neuen,
insbesondere digitalen Zugängen zu Vätern geführt und damit auch Vätern, die
schon vorher keine Angebote vor Ort gefunden haben, Möglichkeiten zur Teilnahme
eröffnet und Schwellen gesenkt. Nach anfänglichen Unsicherheiten finden
Beratungen zunehmend per Video statt und auch bei thematischen Veranstaltungen
und Weiterbildungsangeboten sind wertvolle Erfahrungen mit dieser Form des
Zusammenkommens und Austauschs gemacht worden, die die zukünftige Arbeit mit
Vätern erweitern können.
Ich bin mir bewusst, dass es auch zahlreiche Väter und Mütter gab, die andere Erfahrungen gemacht haben, weil der Partner bzw. die Partnerin nicht zur Verfügung standen, prekäre Lebenssituationen und unsichere Arbeitsverhältnisse sich während der Pandemie noch verschärft haben und diese oder andere Rahmenbedingungen zur Verschärfung von Konflikten beigetragen haben. Diese Familien brauchen auch weiterhin passende Beratungs- und Unterstützungsangebote.
Aber auch dabei lohnt sich der Blick auf die oben skizzierten Gelingensfaktoren. Diese wollen wir auch in Zukunft durch die Arbeit der LAG-Väterarbeit in NRW sowie der 26 Mitgliedsorganisationen stärken, um Vätern Wege in die Familie zu ebnen, Kindern eine gelingende Entwicklung und Partnerschaften zufriedenstellende Beziehungen zu ermöglichen.
Ihre Erfahrungen sind gefragt
Das ist eine erste Zwischenbilanz, die wir aus zahlreichen Gesprächen und Zoom Konferenzen mit Kollegen und Kolleginnen zum Jahresende ziehen. Wir sind uns bewusst, dass Sie und andere Menschen auch ganz andere Erfahrungen gemacht haben können bzw. andere Konsequenzen aus diesen Erfahrungen ziehen können.